Jan Behnken   

Konzept des Vortrages "Zum System der musikalischen Früherziehung Brainins"

Musikhochschule Freiburg, am 2.11.1994  

I) Zur Person Valeri Brainin
II) Die Bedeutung und der Einfluß der Musik auf die Zuhörer
III) Die Mängel im System der heutigen musikalischen Erziehung und ihre Folgen
IV) Theoretische Überlegungen zur Behebung der Mängel
V) Konkrete Umsetzung der in Kapitel IV ("Kursus der musikalischen Sprache" Brainins) gewonnenen Erkenntnisse
VI) Vorführung des Demonstrationsvideos  


II

- Musik als Träger geistiger Energie (Vergleich: Musik = Fremdsprache)
- Die Fähigkeit der Musik, bildenden Einfluß auf die Menschen auszuüben und das ästhetische Empfinden zu entwickeln.    Bsp.: Der schlechte Einfluß gewaltvoller Filme auf Kinder ist unbestritten, umgekehrt ist der positive Einfluß kulturell hochwertiger Musik dann auch zu vermuten
- Kulturelle Bedeutung der Musik setzt Verständnis derselben voraus   (Vgl.: Kultur = lat.: Bearbeitet; ohne Verständnis der Musik kann von "cultura" und "cultus" nicht die Rede sein und daher auch ein veredelnder Einfluß der Musik auf die Gesellschaft nicht ausgeübt werden.)
- Th. Adorno:    a) Experte    b) guter Zuhörer    c) Bildungskonsumenten    d) emotionaler Hörer                               
- Unterschied: Hören - Zuhören - Beispiel Zuhören: Applaus bei Mozart während eines Stückes nach gelungener Modulation  

III

- vor allem westl. Musikerziehung fördert das aktive Zuhören nicht
- motorische Anforderungen übersteigen das Intonationsvermögen der Kinder
- (Erklärung: Intonationsvermögen) - "Mechanismen zu Wahrnehmung der Musik" verkümmern > Frustration bei Kindern, da Musik für sie in erster Linie zum mechanischen Drill wird
- Symptome der Unfähigkeit, in musikalischen Kategorien zu denken: Häufige Erklärung des musikalischen Geschehens durch außermusikalische Begriffe vor allem seit Beethoven. Vor Beethoven Zeiten waren nahezu alle Orchestermusiker in der Lage z.B. im Stile Mozarts zu improvisieren, da sie seine "Intonation" kannten.
- Die Kluft des Nicht-Verstehens zwischen Komponist und Hörer wächst
- Verlust der kulturellen Bedeutung der Musik
- Krise bereits im 18. Jahrhundert erkannt
- Solfeggio sollte Abhilfe schaffen, fungierte aber mit falschen Methoden:
a) abstraktes Notenlernen, bei dem die Zeichen nicht mit Inhalten verbunden wurden
b) rein mathematisches Erschließen der Rhythmen, aber: eine Viertelnote ist nicht immer doppelt so lang wie eine Achtel
c) förderte nicht das Denken in musikalischen Strukturen, es entstand kein Gefühl für die Ganzheit der musikalischen Strukturen (Vgl.: Buchstaben lernen ohne Kenntnis, wie man Worte bildet, denn gelehrt wurde indem in Takte unterteilt wurde, nicht aber in musikalische Phrasen)     
    > Solfeggio verfehlte Ziel, das Verständnis der Musik und das musikalische Denken zu entwickeln  

IV

 - Brainin erkannte Notwendigkeit eines umfassenden Systems musikalischer Erziehung
- Literatur aus Informationstheorie, Semiotik, Kybernetik, Musiksoziologie, Kinderpsychologie
- Frage: Wie lernt ein Mensch?   
    Bsp.:

- Erschütterung und Verunsicherung der Psyche eines Kindes           
- daher Seelenunruhe           
- Drang zum Verständnis und zur Lösung der Problems           
- Lösung des Problems durch Information           
- Informationsgewinn = Lernen (Informativ ist, was verstanden wurde, nicht, was verständlich ist)  

Lernen = Etwas Neues in Relation zu etwas Bekanntem setzen bzw. integrieren
- Voraussetzung für Lernen:
a) Grundverständis der Sache, damit überhaupt eine Verunsicherung erfahren werden kann
b) Das Finden einer Lösung des Problems darf den Lernenden nicht überfordern
- Der beste, interessanteste und informativste Vortrag ist der, wo einiges bekannt und einiges unbekannt ist. Ist zu viel bekannt, langweilt der Vortrag, ist zu wenig bekannt, wird die Aufmerksamkeit der Zuhörer schnell verschwinden.
- Wichtig für Verstehen von Zusammenhängen ist auch Prognostizieren des weiteren Verlaufs des Vortrages oder musikalischen Geschehens
- D.h.: für das Verstehen von Musik ist es entscheidend, einen "Grundwortschatz" musikalischer Phrasen und Strukturen zu besitzen, zu dem neue Entdeckungen in der Musik in Relation gesetzt werden können. Dabei ist es wichtig, daß dieser "Grundwortschatz" aus lebendigen Beispielen und tatsächlich in der Musik existierenden Phrasen besteht.
- So können Kinder die Musik mitverfolgen, einiges verstehen, Vermutungen anstellen und an bisher Unbekanntem reifen.  

V

Konkretes Umsetzen der in Kapitel IV gewonnenen Erkenntnisse    

Wirkungskette:               
a) Ein Rhythmus moduliert die Empfindungen, die er ausdrückt (Vgl.: W.Wundt, "Völkerpsychologie", 1905)
b) Musikalisches Wahrnehmen und unbewußte Vokalisation der Töne, d.h. muskuläre          Reaktion auf akustische Signale (Vgl.: R.H. Lotze, "Medizinische Psychologie", 1852)         
c) Emotionale Regung verursacht durch motorische Tätigkeit (Vgl.: W.James, "What is an emotion?", 1884)  

- in diese Kette greift das System mit Tonstufen- und Rhythmussilben, die reflexartiges Verstehen von Musik gewährleisten sollen, ein.
- Erklärung: "Sensomotorische Funktion"    Bsp.: Die Zunge begreift Rhythmen schneller als unser Intellekt
- Ziel: Herstellung einer Kette von akustischer Wahrnehmung, motorischen Reflexen sowie geistiger und emotionaler Teilnahme am Intonationsgeschehen (das bedeutet Teilnahme an den Gedanken von Menschen wie Bach, Mozart, Schubert)

Va

Rhythmus, Segmentierung

- Bedeutung der richtigen Segmentierung für das Verständnis von Inhalten  
    Bsp.: Nichtverstehen eines Satzes in einer Fremdsprache, obwohl alle Vokabeln bekannt waren oder: 
    Ich habe zehn Finger an jeder Hand / fünfundzwanzig an Händen und Füßen.           
    Ich habe zehn Finger / an jeder Hand fünf / und zwanzig an Händen und Füßen  
- Segmentierung wird in diesem System erlernt durch Kinderreime und Rhythmussilben  
- Erklärung des Aufbaus rhythmischer und musikalischer Phrasen:            
Information - Kulmination - Inertie            
    Bsp.: Erschließen eines Wortes durch Erraten der Buchstaben am Anfang des Wortes angefangen            
    (Information = Zufälliges Erraten der ersten Buchstaben des Wortes, Kulmination = Erkennen des Wortes, Inertie = Benennen der noch fehlenden Buchstaben des Wortes)  

Vb

Orientierung im Tonraum, Stufensystem, Tonstufensilben

- Orientierung im Tonraum anhand der Brainin-Tafel
- Erlernen der verschiedenen Tonstufen anhand von Kinderliedern auf Text, Tonstufensilben und mit Tonstufen-Handzeichen kombiniert
- Erklärung des "Etagenhochhauses" mit farbigem Gehör; starkes Streben der Tonstufe = "heiße" Farben
- Synthese von rhythmischer und melodischer Arbeit
- Lieder werden auf Tonstufen und Phrasen (Drachen) hin untersucht  
Erfolg: Fähigkeit, gehörte Lieder nahezu instinktiv und ohne langes Abwägen zu notieren  

VI

Ausblick auf die weiteren Arbeitsschritte, Zeigen des Demonstrationsvideos